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Der getroffene Nerv

Banksy in München? In der Stadt tauchen Ratten-Graffitis auf, die den Werken des Streetartkünstlers verblüffend ähneln. Schon bald mehren sich die mutmaßlichen Banksys auf wundersame Weise, sind seine Motive auf Hauswänden, Garagentoren oder gammeligen Containertüren eines Imbisses zu finden.  

Auf die Fersen des Sprayers von München heftet sich die Kunstdetektei Schleewitz. Da ist Max, der den ganz großen Recherchewurf wittert, gar die Identität Banksys lüften und damit in die Geschichte eingehen möchte, als Befreiungsschlag aus seiner biederen Existenz. Die Kunsthistorikerin Klara wiederum wittert Betrug und mehr oder weniger kriminelle Machenschaften. Inhaber Rupert von Schleewitz hat das große Ganze im Blick, namentlich das wirtschaftliche Fortbestehen seiner Detektei, Finanzamt und Gläubiger sitzen ihm im Nacken. Was wird siegen, Fressen oder Moral? Man ahnt es schon bald.

Dazwischen geht es um die so gar nicht neue Frage, was Kunst ist, und wer bestimmt, was Kunst sein darf. Was Kunst darf. Die erhellendsten Sätze zum Thema kommen ausgerechnet von Klaras krankem, altem Vater, der vorübergehend bei ihr wohnt. Der Aktionskünstler (i.R.) ist denn auch derjenige unter den Protagonisten, der am lebendigsten – und menschlichsten – erscheint und der den entscheidenden Hinweis zur Aufklärung des Falls gibt.

Kunstszene, Kleinkriminelle und Klatschpresse gehen in Banksy und der blinde Fleck eine unheilvolle Allianz ein. Der Plot dröselt das gekonnt auf. Sicher nicht spannend genug für die Fans knallharter Actionthriller und nicht feinsinnig genug für Kunstliebhaber, aber routiniert und durchaus spannend, auch wenn die bleierne Stimmung der Stadt München über allem liegt.

Womit wir bei einem weiteren zentralen Thema des Romans angekommen sind. Den bitteren Geschichten „über Menschen, die zu Opfern wurden. Vereinsamte, Lebensuntüchtige, Ausgestoßene oder sich selbst Ausschließende, manchmal auch nur Leute, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Und es waren Geschichten über Täter […] Sie waren nicht einmal böse, sondern im entscheidenden Moment gedankenlos, nachlässig, desinteressiert, angetrunken, übermütig, rechthaberisch oder übertrieben pflichtbewusst.“

Lakonisch-distanziert-ironisch beschreibt Bernhard Jaumann Täter und Opfer, stilistisch fein austariert, skizziert er die Zustände, in der Banksys Ratten mit ihren blutroten Spuren zu Anklägern in unserer modernen Gesellschaft werden. Das könnte eine große erzählerische Kraft entwickeln, auch wenn der Autor manches Mal ins Klischeehafte abgleitet. Dass der Roman diese Wucht nicht entwickelt, liegt denn auch an Jaumanns kühn-kühlem Stil, der die Handelnden und Behandelten wie in einer Schneekugel auftreten lässt. Nichts davon ergreift das Herz der Lesenden, zurück bleibt ein blinder Fleck. 

Persönliche Nachbemerkung: Im Nachhinein hat mich meine eigene fehlende Empathie für die Geschichten sehr nachdenklich gemacht. Stumpfen wir alle ob so vieler trauriger Einzelschicksale ab? Wenn der Autor mir das vor Augen führen wollte, hat er einen Volltreffer gelandet – und den Nerv getroffen. 

Transparenzhinweis

Gelesen über netgalley. Das eBook wurde mir vom Verlag zur Verfügung gestellt, vielen Dank! Meine Meinung hat das nicht beeinflusst. 

Bernhard Jaumann: Banksy und der blinde Fleck.

Galiani-Berlin; 1. Edition

ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3869712734
17 Euro.
Auch als E-Book erhältlich  (4,99 Euro)